Diese Frage wurde mir auf ask.fm gestellt.
Eine Frage, die mit ein paar Worte nicht zu beantworten ist. Es gibt so viel, was ich sehe. Das fängt bei den Krankheiten an und hört bei den Arbeitsbedingungen auf.
Fast jeder leidet an Demenz, in verschiedenen Stadien und mit vielen Gesichtern. Da ist Bewohner X, der auf einmal aggressiv wird, mich beschimpft und fünf Minuten später lobt und in den Arm nimmt. Bewohner Y, der so tut, als ob nichts wäre, der alles verdrängt. Bewohner Z, der ins „Kleinkindstadium“ zurückgefallen ist und wie ein Baby weint, wenn etwas nicht stimmt. Das ist etwas, was mir Angst macht. Wie werde ich später? Das Schlimme ist, man merkt, wenn sich etwas verändert. Man merkt, dass man vergesslicher wird. Es ist ein schleichender Prozess. Viele entwickeln im Anfangsstadium noch zusätzlich eine Depression. Was die Sache noch viel schlimmer macht.
Sind sie erstmal im Stadium des vollkommenen Vergessens angelangt, wird es für die Angehörigen und Pflegenden schwer.
Wie erklärt man einem Demenzkranken um 3:00 Uhr nachts, dass er nicht zur Arbeit gehen muss? Wie geht man damit um, wenn auf einmal deine eigene Mutter dich beschimpft oder vielleicht gar nicht mehr wiedererkennt? Was machst du, wenn du beschuldigt wirst, ein Baby umgebracht zu haben?
Das sind alles Sachen (und noch viel mehr), was ich bisher schon erlebt habe.
Ich habe Angst vor dem beginnenden Prozess. Es muss schrecklich sein, wenn man merkt, dass man alles vergisst. Ist man in der Demenz angekommen, ist es einem egal. Man weiß ja nicht mehr, wer oder was man ist oder war. Man lebt in der Vergangenheit. Da ist es wieder für die Aussenstehenden schlimm und schwer.
Dann das Thema Sterben.
Angst vor dem Tod habe ich nicht. Ich habe Angst vor dem wie. Wie sterbe ich? Auch da habe ich schon einiges gesehen und erlebt. Zum Glück noch nicht so ganz dramatische Sachen, aber mir hat es schon gereicht zu sehen, wie einer Toten der Stuhlgang aus dem Mund lief. Oder wie jemand von innen vergammelt ist. Es ist nicht schön.
Vor allem ist es auch nicht schön zu sehen, wie sich (einige) Angehörige im Sterbeprozess oder bei der Nachricht vom Tod verhalten.
Man sieht nie was von ihnen und auf einmal sind sie da und machen sich Sorgen. Der Arzt war noch gar nicht da, um den Tod zu bestätigen und es wird schon besprochen, wie die Beerdigung abläuft, was die/der Mutter/Vater angezogen bekommt. Man steht am Bett von dem Toten und bekommt die Frage: „Woher wissen Sie jetzt, dass der tot ist?“ gestellt (WTF?!?). Man macht das komplette Pflegepersonal verrückt, weil man auf einmal nur noch das Beste für den Sterbenden möchte und kaum ist der Tod eingetreten, möchte man nichts mehr damit zu tun haben und das Pflegepersonal soll sich um ein Beerdigungsinstitut kümmern.
Es werden einem Vorwürfe gemacht, warum denn die/der Mutter/Vater auf einmal gestorben ist. Ja, ist ja bei einem alten, kranken Menschen nicht zu erwarten sowas. Als ob man noch nachgeholfen hätte. „Ja, aber wir waren doch noch vor 10 Minuten da.“ – Ja, dann wollte der Sterbende alleine sterben und hat nur gewartet. Das ist in der Tat so. Können auch viele nicht glauben. Die einen warten noch auf etwas und können erst dann in Ruhe gehen und die anderen warten, dass sie endlich alleine sind und gehen dann.
Ich hoffe, dass meine Angehörigen (sollte ich mal ein Pflegeheim kommen) nicht so sind.
Kommen wir zum letzten Punkt: Die Arbeitsbedingungen.
Wenn es so weiter geht wie bisher, wird es in naher Zukunft keine Pflegeheime mehr geben. Erstens weil es sich keiner mehr leisten kann und zweitens weil keiner den Beruf der Altenpflege niemand mehr lernen will. In der Pflege ist es inzwischen so weit, dass die Dokumentation mehr zählt, als der Bewohner. Wenn du dokumentiert hast, dass du Bewohner XY gewaschen hast, ist es okay. Ob du es auch wirklich gemacht hast, ist egal.
Der MDK (Medizinische Dienst der Krankenkassen) achtet mehr auf das was dokumentiert ist, als auf alles andere. Früher hat es gereicht, wenn man dokumentiert hat, wieviel der Bewohner gegessen und getrunken hat. Jetzt muss auch noch rein, was er gegessen und getrunken hat (das ist doch scheißegal! Hauptsache er isst und trinkt!), du musst dokumentieren, wie du ihn gelagert hast, du musst dokumentieren, wie er geschlafen hat usw.
Dann muss die Pflegeplanung immer auf dem aktuellen Stand sein. Lustig ist ja auch, dass man da rein schreibt, dass der Bewohner eine ruhige Nacht und einen störenfreien Schlaf hat. Aber du rennst als Nachtwache dreimal rein, wechselst die Inkontinenzartikel und drehst ihn im Bett auf die andere Seite. DREIMAL! Wo ist da der störenfreie Schlaf? (Wohl gemerkt: Das verlangt der MDK.)
Es ist auch immer so nett, zu hören zu bekommen: „Ich bezahle hier soviel und Sie haben keine Zeit für mich.“ Ich wäre froh, wenn ich das verdienen würde, was die Bewohner zahlen müssen. Ja richtig, die Bewohner zahlen mehr, als ein/e Altenpfleger/in verdient.
Es wird immer schlimmer. Ein Grund, warum ich nur nachts arbeite. Da habe ich Ruhe. Zeit. Regelmäßig frei. Und die Bezahlung (dank Nachtschichtzulage) reicht zum Leben (sofern man in einem Doppelverdienerhaushalt lebt).
Alles in allem, ist die Antwort auf die Frage zwiegespalten. Angst vor dem Alter habe ich nicht. Ich habe Angst vor der Entwicklung. Wenn die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden, hat man keine Zeit mehr für die Menschen, die ja eigentlich in ein Pflegeheim gehen, weil sie Hilfe brauchen.